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Meinung: 5 legendäre Anstiege, die (ehrlich gesagt) keinen Spaß machen

Von Martin Atanasov

Manche Anstiege sind legendär. Andere sind bloß glorifizierte Selbstkasteiung, getarnt in Tour-de-France-Nostalgie. Man fährt sie nicht zum Spaß. Um Himmels willen, nein. Man fährt sie, weil Ego, Instagram-Feed und Strava-KOM-Fantasien lauter schreien als der gesunde Menschenverstand.

Und trotzdem pilgern Tausende zu diesen heiligen Orten des Leidens. Um ihre verschwitzte Flagge zu hissen. Um ihre Lebenslust zu testen. Um einen halben Tag lang elend zu leiden – nur um anschließend ein heroisches Selfie auf Social Media posten zu können.

Diese Anstiege sind zweifellos Ikonen. Sie gehören zur Heiligen Schrift des Radsports. Und sie sind durchweg – ohne Ausnahme – brutale, ungefilterte Quälerei. Wenn du also zu den Menschen mit masochistischen Neigungen oder seltsamen Vorlieben zählst: Glückwunsch. Hier ist deine Bucket List.


Sa Calobra: Mallorcas schönster Verkehrsstau

Für viele Cycling-Influencer beginnt das Paradies auf zwei Rädern genau hier: auf sonnigem, traumhaftem Mallorca. Und im Zentrum dieses Radsport-Mekkas: Sa Calobra – die „Krönung“ der Insel. Diesen Anstieg muss man gefahren sein. Du hast keine Wahl. Sobald jemand erfährt, dass du auf Mallorca warst, lautet die erste Frage: „Und? Bist du Sa Calobra gefahren?“ Sag bloß nicht: „Nee, war lieber woanders.“ Dann hilft dir nicht mal mehr Gott.

Und ja: Sa Calobra ist wirklich schön. Die Straße windet sich wie eine Schlange mit Rückenschmerzen, das Panorama ist Instagram-Gold. Es gibt sogar eine Stelle, wo sich die Straße unter sich selbst hindurchschlängelt – wie eine kunstvoll gedrehte Nudel. Jeder will das Foto. Beim ersten Mal.

Dann kommt der Rückweg. Und du merkst: Der einzige Weg raus ist zurück über exakt dieselbe Straße – zwischen Mietwagen, wackligen Rollertouristen und Bussen in Einfamilienhausgröße, die auf asphaltbreiten Pizza-Kartons wenden wollen. Der Anstieg ist technisch harmlos, die Aussicht top – aber das Verkehrschaos macht aus der Traumfahrt einen Albtraum in Echtzeit.

Kurzum: Ja, Sa Calobra ist legendär. Aber wenn du nicht um 6 Uhr morgens an einem Dienstag im Februar da bist, fährst du keinen Berg – du stehst im Postkartenmotiv an.


Passo dello Stelvio: 48 Kehren bis zur Sinnkrise

Wenn es einen Trailer für testosterongesteuerte Radabenteuer gäbe, dann wäre der Stelvio das Titelbild. Eine Mauer aus Serpentinen, die in den Himmel wachsen. Die Bilder wirken so dramatisch, dass sie wie von KI generiert aussehen. Es ist der Inbegriff von episch – und von körperlicher Vernichtung.

Stelvio ist kein Anstieg. Es ist ein rituelles Opfer. Auf über 2.700 Metern Höhe wirst du nicht nur deine Lunge, sondern dein gesamtes Leben infrage stellen. Die 48 Kehren der Prato-Seite sind legendär – aber ab der Hälfte wiederholt sich alles in Dauerschleife: dieselbe Aussicht, derselbe Anstieg, derselbe leere Blick. Die Steigung bringt dich nicht um, sie zieht dir einfach langsam die Lebensfreude aus dem Körper.

Und als wäre das nicht genug, wechselt das Wetter wie deine Stimmung: Sonne am Fuß, Regen in der Mitte, Eisnebel oben. Mitten auf Kehre 37 wartet dann die Sinnkrise. Ach ja: Höhenkrankheit gibt’s gratis dazu. Und wer keine Jacke mitbringt, friert oben neben dem Typen in Wintermontur, der dich vor zehn Minuten grinsend überholt hat.

Der Stelvio ist Kult, ohne Frage. Aber du beendest ihn nicht mit einem Lächeln – sondern mit glasigem Blick und einem wackeligen Foto am Gipfelschild, gefolgt von dem tiefen Bedürfnis, dich für drei Stunden flach auf den Boden zu legen.


Col du Galibier: schön, brutal – und eigentlich eine Mutprobe

Galibier ist mehr als ein Anstieg. Es ist ein Mythos, verpackt in Schweiß, Höhe und Tour-de-France-Geschichte. Hier werden Helden geboren – und Oberschenkel zermahlen. Du wirst beeindruckt sein. Aber Spaß? Keine Chance.

Niemand fährt den Galibier zum Vergnügen. Du fährst ihn, um dir selbst oder anderen etwas zu beweisen. Deinem Strava, deinen Freunden – oder dem Typen, der meinte: „So schlimm ist der gar nicht.“ Spoiler: Doch. Ist er.

Von beiden Seiten ist der Galibier lang, gnadenlos und seelenschädigend. Die Südseite lullt dich erst ein, um dich dann am Ende mit der Höhe zu erledigen. Die Nordseite? Noch schlimmer. 35 Kilometer schleichender Schmerz, bei dem die Bäume verschwinden, die Luft dünn wird und der Gipfel einfach nicht näherkommt. Grandiose Aussicht – wenn du noch geradeaus schauen kannst.

Und der Gipfel? Eine Lüge. Du denkst, du bist da, und dann kommen noch ein paar Kehren, die sich wie Strafe für ungeklärte Sünden anfühlen. Am Ende gibt’s zwar ein Wahnsinnspanorama – aber du bist zu benommen, um es zu genießen. Und auf der Abfahrt frieren dir fast die Finger ab.

Einmal fahren? Ja. Mehrmals? Nur, wenn du dir selbst etwas beweisen willst, was du beim ersten Mal nicht geschafft hast.


Lagos de Covadonga: Spaniens landschaftlicher Mittelfinger

Covadonga ist Spaniens Antwort auf die Frage: „Wie steil darf’s denn sein, bevor jemand die Polizei ruft?“ Ein Vuelta-Klassiker, ein Nationalheiligtum – und ein fieser Anstieg, hübsch verpackt.

12,5 Kilometer mit rund 7 % Durchschnittssteigung? Klingt machbar. Aber auf der Straße fühlt es sich an wie eine Backsteinmauer mit Aussicht. 13 % gleich am Anfang, dann wird’s schlimmer. Eine Passage heißt „La Huesera“ – „Knochenfeld“. Ganz charmant.

Covadonga hat keinen Rhythmus, keinen Flow – nur ein Chaos aus Rampen, Kanten und bösen Zwischenstücken. Du sprichst mit deinem Rad – und zwar nicht nett. Oben gibt’s Seen, Berge und eventuell eine außerkörperliche Erfahrung. Aber genießen kannst du’s erst, wenn du die Revolution deiner Lunge unter Kontrolle bekommst.

Es ist bekannt. Es ist bildschön. Aber es ist auch ein spiritueller Härtetest, bei dem nur die zurückkommen, die die Erinnerung ans erste Mal erfolgreich verdrängt haben.


Monte Zoncolan: Die Wand, die sich Straße nennt

Keine Einleitung. Kein Aufwärmen. Kein Gnadenbrot. Der Zoncolan ist einfach steil – und wird immer steiler. Du schaust auf deinen Tacho und denkst, das Steigungsprofil ist kaputt. Ist es nicht. Du bist nur auf einer Wand mit Asphalt.

Zehn Kilometer. Durchschnittlich 12 %. Immer wieder Rampen jenseits der 20. Hier geht es nicht ums Fahren. Es geht ums Überleben. Wer glaubt, eine Versorgungsstation zu sehen, hat wahrscheinlich gerade den heiligen Petrus erblickt.

Der Wald ist still. Beklemmend still. Alles, was du hörst, ist dein Röcheln, das Wimmern deines Antriebs – und die innere Stimme, die fragt: „Warum machen wir das eigentlich?“ Wenn du oben bist, ist das kein Triumph – eher das Gefühl, dass jemand endlich aufgehört hat, dich zu schlagen.

Zoncolan ist keine Ausfahrt. Es ist eine kontrollierte Implosion. Und wenn du nochmal fährst, liegt’s wahrscheinlich an akutem Gedächtnisverlust durch Sauerstoffmangel.


Vielleicht lieber andere Berge

Was dir keiner sagt: Legendär bedeutet nicht automatisch „toll“. Diese Anstiege sind berühmt – aber meistens für Schmerz, Chaos oder Massenandrang. Sie sind nicht schlecht. Nur einfach nicht… schön.

Du musst sie nicht fahren. Du brauchst kein traumatisches Erlebnis auf 2.600 Metern, um ein „echter Radfahrer“ zu sein. Fahr, was dich glücklich macht. Fahr, wo’s guten Kaffee oben gibt. Und wo du dir nicht die Finger abfrierst beim Runterfahren.

Denn oft sind die besten Anstiege nicht die in der Bucket List – sondern die, die du ganz allein für dich entdeckst.