Riechst du das? Nein, nicht der Duft blühender Blumen oder frisch gemähten Rasens. Etwas viel Unheilvolleres. Es ist der Geruch deiner Winter-Radschuhe, die langsam in der dunklen Ecke deines Flurs vor sich hin gären. Du wolltest sie nicht vergessen. Aber das Leben… naja, es ist einfach passiert. Und jetzt entwickeln sie sich zu fühlenden Lebensformen. Hoffentlich sind sie dir wohlgesonnen – und nicht auf Rache aus. Aber eigentlich geht es um etwas anderes: Es ist Frühling, und diese Schuhe interessieren dich erst wieder in etwa acht Monaten.
Während der Rest der Welt sich auf das uralte Ritual des Frühjahrsputzes stürzt – angetrieben von reinem Konsumdrang – hast du deine eigene Tradition zu pflegen: den Radfahrer-Frühjahrsputz. Denn der bezieht sich nicht nur auf Kleiderschränke und Küchen. Für Radfahrer ist es ein heiliger (und leicht traumatischer) Übergangsritus. Eine Zeit zum Reinigen, Ausmisten, Ersetzen – und zur Konfrontation mit der erschreckenden Realität, wie eklig alles inzwischen geworden ist. Also, Staubwedel weglegen, Entfetter in die Hand – los geht’s.
Das Fahrrad
Selbst wenn du dein Fahrrad sauber eingemottet hast – wenn es den Winter über unbenutzt blieb, braucht es definitiv eine Frischekur. Die gute Nachricht: Es sieht nicht aus, als wäre es im Krieg gewesen. Die schlechte: Es braucht trotzdem eine Wiederbelebung.
Also, fang mit einer ordentlichen Wäsche an. Und ich meine wirklich ordentlich – nicht nur der symbolische Wasserspritzer nach einer Tour, der dich glauben lässt, du hättest es „gereinigt“. Nein, hier geht’s um Dekontamination im vollen Umfang. Hol es aus dem Kellerverlies, in dem es den Winter über vor sich hin gegrummelt hat, und schrubb drauflos. Du wirst Farben wiederentdecken, von denen du nicht mehr wusstest, dass sie existieren. Und vielleicht findest du sogar etwas, das darauf wächst. Keine Panik – das ist nur die Natur, die sich deinen Antrieb zurückholen will.
Apropos Antrieb: Der ist wahrscheinlich mit einer dicken, klebrigen Schicht aus Kettenöl vom letzten Jahr, Staub vom Trail und ein paar Spinnen verklebt, die dachten, sie hätten da ihre Flitterwochen-Suite gefunden. Zeit, alles auseinanderzunehmen. Entfette jedes Teil, als würdest du einen Tatort reinigen. Kette, Kassette, Kettenblätter – keine Gnade. Wenn deine Kette beim Rückwärtstreten knirscht, ist das nicht „Charakter“. Das ist Korrosion, die deinem Schaltwerk süße Liebesflüstereien zuflüstert. Wenn alles wieder glänzt, ordentlich ölen – du weißt schon, damit der Antrieb beim Schalten nicht schreit.
Und dann sind da noch die Bremsen. Oder, falls du sie den ganzen Winter ignoriert hast: das Ding, das dich gerade noch davon abhält, Fußgänger umzunieten. Check die Bremsbeläge. Wenn nichts mehr davon übrig ist – austauschen. Wenn sie quietschen wie eine gequälte Geige – beheben.
Vergiss die Reifen nicht. Du weißt schon, diese Gummidinger, die du seit Oktober nicht mehr angeschaut hast. Wenn das Profil verschwunden ist und die Seitenwände aussehen wie vom Sandstrahler bearbeitet, ist es Zeit für neue. Und sie brauchen Luft. Richtig Luft – nicht nur „Pancake mit Gefühl“. Es wird sich komisch anfühlen – aber das liegt daran, dass es richtig ist.
Dreh alles, was sich drehen soll: Kurbeln, Räder, deine Seele. Wenn etwas rau klingt, sich sandig anfühlt oder sich weigert, sich zu bewegen – Glückwunsch, du hast Lagerschaden. Also: Fett her oder Termin in der Werkstatt machen.
Und vergiss die kleinen Dinge nicht. Check jede Schraube, jede Klemme, jedes winzige Teil, das dich bei 50 km/h am Leben hält. Über den Winter lockert sich vieles – physisch, emotional und mechanisch. Zieh alles fest. Zeig Respekt. Du willst nicht herausfinden, was passiert, wenn sich bei einer Abfahrt etwas verabschiedet.
Wenn alles sauber, fest und geschmeidig läuft wie bei der Tour de France – tritt einen Schritt zurück und bewundere dein Werk. Mach ruhig ein Foto. Oder zwei. Poste es, wenn du musst. Keiner wird’s feiern außer den sechs anderen Verrückten aus deinem Verein, die heute ebenfalls ihre Bikes geschrubbt haben. Aber das ist okay. Du hast es dir verdient. Nur: Wenn du denkst, du wärst jetzt fertig, kommt die Überraschung – das Bike war nur der Anfang.
Die Ausrüstung
Auch wenn du im Winter gefahren bist – mit eingefrorenen Fingern, salzigen Straßen und diesem merkwürdigen Seitenregen, der nur im Februar existiert – es gibt ein paar Dinge, die du ganz sicher nicht benutzt hast. Nämlich dein Frühjahrs- und Sommer-Kit. Trikots, Bibshorts, Socken und Handschuhe haben seither im Schrank oder der Tasche geschlummert. Und auch wenn du sie ganz bestimmt nicht schmutzig und verschwitzt weggeräumt hast (du bist ja ein zivilisierter Mensch), lohnt sich eine Runde in der Waschmaschine – einfach, um den Muff rauszukriegen.
Auch ideal zum Inspizieren. Schau dir deine Bibs genau an. Wie sieht das Sitzpolster aus? Gibt der Stoff nach oder ist er schon gefährlich transparent? Wenn alles noch bequem und funktional ist – super. Wenn’s bei längeren Fahrten dünn wird, ist es vielleicht Zeit, sie zur Indoor-Trainingshose zu degradieren und dir für draußen was Frisches zu gönnen.
Das Gleiche gilt für Trikots. Halte sie gegen das Licht. Wenn du durch das Rückenteil das Fenster siehst – das ist keine „Belüftung“, das ist ein Warnsignal. Reißverschlüsse, Nähte und Taschen prüfen. Ein festhängender Zipper mitten am Anstieg ist ein ganz spezielles Leiden.
Die Socken – unsere treuen Fußsoldaten – brauchen auch Aufmerksamkeit. Löcher? Ausgeleierte Bündchen? Harte Stellen trotz Wäsche? Frühling ist die perfekte Ausrede, um neue zu kaufen. Frische Socken = gute Laune. Und nichts sagt „Ich hab mein Leben im Griff“ mehr als ein passendes, geruchsfreies Paar.
Weiter zu den Handschuhen. Oft übersehen, aber die bekommen ordentlich was ab. Prüfe Polsterung, Nähte, Griffigkeit. Wenn du fingerlose Modelle nutzt: glatte Innenflächen + schwitzige Hände = schlechte Kombination. Und ja – auch wenn sie „okay“ wirken: wasch sie. Die Bakterien lügen nicht.
Jetzt zum Helm. Prüfe das Herstellungsdatum (meist nach 3–5 Jahren fällig), checke Schale und Schaum auf Risse oder Dellen. Auch ohne Sturz können UV-Strahlung und Schweiß das Material abbauen. Ein sauberer Helm mit funktionierenden Belüftungen und Geruch unter der „wahrnehmbaren Schwelle“ ist das Minimum für den Frühling.
Und vergiss deine Accessoires nicht: Caps, Halstücher, Armlinge, Überschuhe. Jetzt ist der Moment zum Aussortieren, Neuordnen, Gruppieren nach Jahreszeit. Und um festzustellen, dass der eine vermisste Armling immer noch verschwunden ist. Unlösbar. Akzeptiere es.
Diese kleine Bestandsaufnahme spart dir später böse Überraschungen – wie ein kaputter Reißverschluss mitten in der Tour oder durchgescheuerte Shorts auf dem Café-Stuhl. Sie ist quasi Wartung für deine Moral. Dein Bike ist sauber. Deine Klamotten gecheckt. Und du wirkst verdächtig organisiert.
Zubehör und Technik
Fahrrad gereinigt, Klamotten sortiert – aber halt! Es fehlen noch die kleinen Dinge. Die, die einen guten Tag ruinieren, wenn du sie vergisst.
Erst mal: Satteltasche. Aufmachen. Richtig reinschauen. Ist da ein Schlauch mit fünf Flicken drin? Eine CO₂-Kartusche, garantiert leer? Ein Riegel, älter als dein aktuelles Bike? Austauschen. Frisch packen. Trinkflaschen? Riechtest. Wenn sie nicht bestehen: weg damit. Schimmlige Zitrusnoten verbessern keine Leistung.
Technik? Alles aufladen: GPS, Licht, Powermeter, deine Seele. Firmware updaten – niemand will einen Softwareausraster mitten auf der Tour. Sensoren synchronisieren, Herzfrequenzmesser testen, Halterungen prüfen. Dein Radcomputer denkt, du bist noch auf Mallorca? Neustart – es sei denn, du bist wirklich dort. Dann passt’s.
Testlauf nicht vergessen. Wenn dein Tacho bei jedem Hügel piept und das als „flach“ einstuft – vielleicht Kalibrierung. Oder Exorzismus. Wahrscheinlich Kalibrierung.
Diese Details machen den Unterschied. Also behandle sie mit derselben Liebe wie dein Bike.
Starte mit Stil in den Frühling
Bike sauber. Ausrüstung gecheckt. Technik aufgeladen. Schlauch aus der Steinzeit entsorgt. Du bist bereit – nicht nur fürs Fahren, sondern fürs Genießen. Denn nichts killt die Frühlingsfreude so schnell wie ein rostiger Antrieb, ein toter GPS oder ein Bibshorts-GAU an der Cafébank.
Also: Genieß die Früchte deiner Mühe. Und vergiss nicht, dein fast-neues Bike auf Instagram zu zeigen.