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Ein paar Erkenntnisse aus der packenden ersten Woche der Tour de France

Von Siegfried Mortkowitz

Ist das GC-Rennen schon entschieden?

Kann Jonas Vingegaard in den verbleibenden zwei Wochen noch 1:13 auf Tadej Pogačar gutmachen? Möglich ist es natürlich. Ein Sturz, ein schlechter Tag, ein taktischer Fehler – es gibt Dutzende Wege, eine Führung zu verlieren, selbst für einen dreifachen Tour-de-France-Sieger. Aber der Leader von UAE Team Emirates–XRG hat selten einen schwachen Moment, stürzt kaum, und trifft fast nie eine schlechte Entscheidung. Die spannendere Frage lautet deshalb vielleicht: Stimmt etwas nicht mit Vingegaard?

Diese Frage ist berechtigt, denn bislang gibt es keine wirklich überzeugende Erklärung für die enttäuschende Leistung des Visma–Lease a Bike-Kapitäns beim Einzelzeitfahren am Mittwoch (Etappe 5). Auf dem 33 km langen Kurs rund um Caen belegte Vingegaard nur Rang 13 – satte 1:21 Minuten hinter dem erwarteten Sieger Remco Evenepoel (Soudal Quick‑Step) und 1:05 Minuten hinter Pogačar, der ein nahezu perfektes Zeitfahren zeigte und Platz 2 belegte – direkt hinter dem amtierenden Welt- und Olympiasieger im Kampf gegen die Uhr.

Die Folge: Evenepoel schob sich auf Platz 3 der Gesamtwertung, 43 Sekunden hinter dem neuen Träger des Gelben Trikots Mathieu van der Poel (Alpecin‑Deceuninck) und 42 Sekunden hinter Pogačar. Vingegaard fiel auf Rang 4 zurück – mit 1:14 Rückstand. Damit liegt er sogar hinter dem überraschend starken Kévin Vauquelin (Arkéa–B&B Hotels), der mit einem beeindruckenden fünften Platz im Zeitfahren auf sich aufmerksam machte und nun nur noch eine Minute hinter van der Poel liegt.

Vingegaard selbst erklärte gegenüber dänischem Fernsehen:

„Es war ein schwieriger Tag für mich. So ist es manchmal. Ich hatte einfach nicht die Beine. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Die Tour ist noch lang, ich bin motiviert und glaube weiterhin, dass noch alles möglich ist.“

Sportdirektor Arthur van Dongen ergänzte tags darauf:

„Es war etwas, das speziell mit dem Zeitfahren zu tun hatte. Aber wir behalten die Details intern im Team.“

Zur Erinnerung: Im ersten Einzelzeitfahren der letztjährigen Tour (Etappe 7, 25 km) verlor Vingegaard lediglich 25 Sekunden auf Pogačar, lag jedoch bereits 1:15 hinter ihm. Er verlor die Tour damals mit 6:17 Rückstand. Allerdings kam der Däne damals noch nicht vollständig erholt von seinem schweren Sturz im Itzulia-Rennen ins Rennen. In diesem Jahr sollte seine Form eigentlich besser sein. Hoffen wir, dass das wirklich nur ein „schlechter Tag“ war – und dass er bald zurückschlägt.


Ride of the Week: Ben Healy mit Monster-Attacke

Die Fahrt der Woche? Ganz klar Ben Healy. Der Ire setzte auf der sechsten Etappe zu einem Solo-Angriff über 42,3 km an und holte sich seinen ersten Etappensieg bei der Tour de France – und katapultierte sich von Platz 33 auf Rang 8 im Gesamtklassement, mit nur noch 2:01 Minuten Rückstand auf van der Poel (Alpecin‑Deceuninck).

So stark war seine Attacke, dass er mit einem Vorsprung von 2:44 Minuten auf Quinn Simmons (Lidl‑Trek) ins Ziel kam. Michael Storer (Tudor Pro) folgte weitere sieben Sekunden dahinter auf Platz 3. Das sind Zeitabstände, die auch ein van der Poel oder Pogačar mit Stolz erfüllen würden.


Philipsen-Crash bringt Bewegung ins Grüne Trikot

Jasper Philipsen, ehemaliger Gewinner des Skoda-Grünen Trikots und einer der Favoriten auf den Sprinttitel, stürzte auf Etappe 3 in einem kuriosen Zwischenfall beim Zwischensprint. Dabei brach er sich das Schlüsselbein und musste das Rennen aufgeben. Der Alpecin‑Deceuninck-Sprinter wurde durch eine Kollision zwischen Bryan Coquard (Cofidis) und Edward Theuns (Lidl‑Trek) zu Boden gebracht, nachdem Coquard nach dem Kontakt in Philipsen hineingeschleudert wurde.

Beide – Coquard und Theuns – erhielten gelbe Karten und je 500 CHF Geldstrafe, obwohl sie offenbar mehr Pech als Schuld traf. Das Resultat: Das Grüne Trikot ist wieder offen.

Tim Merlier (Soudal Quick‑Step) gewann den Massensprint am Montag vor Jonathan Milan (Lidl‑Trek), der dadurch kurzzeitig die Punktewertung anführte.

Aktuell trägt allerdings Tadej Pogačar das Grüne Trikot – zusätzlich zum Gelben und Gepunkteten –, mit 97 Punkten, gefolgt von Milan (92) und dem Vorjahressieger Biniam Girmay (Intermarché-Wanty) mit 87 Punkten.

Ohne Philipsen muss sich Alpecin‑Deceuninck neu sortieren. Zwar hat das Team mit Kaden Groves einen weiteren starken Sprinter im Aufgebot – mit sieben Vuelta-Etappensiegen und zwei beim Giro –, aber Groves ist bei seiner ersten Tour bisher nur auf 27 Punkte gekommen. Ein Außenseiter also gegenüber Milan, Girmay oder Merlier.

Und was ist mit van der Poel? Er liegt mit 80 Punkten auf Rang 4 – und dürfte das Grüne Trikot nun durchaus im Blick haben. Zwar ist er kein reiner Topsprinter, aber mit Groves als Anfahrer reicht es oft für Top-5-Platzierungen.

Die kommenden Etappen – darunter der wellige Freitag (Etappe 7) sowie die flachen Etappen 8 und 9 – werden weitere Klarheit bringen.


Gesamtwertung nach Etappe 6, Tour de France 2025

  1. Mathieu van der Poel, Alpecin‑Deceuninck – 21:52:34

  2. Tadej Pogačar, UAE Team Emirates–XRG – +0:01

  3. Remco Evenepoel, Soudal Quick‑Step – +0:43

  4. Kévin Vauquelin, Arkéa–B&B Hotels – +1:00

  5. Jonas Vingegaard, Visma–Lease a Bike – +1:14

  6. Matteo Jorgenson, Visma–Lease a Bike – +1:23

  7. João Almeida, UAE Team Emirates–XRG – +1:59

  8. Ben Healy, EF Education–EasyPost – +2:01

  9. Florian Lipowitz, Red Bull–BORA–hansgrohe – +2:32

  10. Primož Roglič, Red Bull–BORA–hansgrohe – +2:36


Ergebnis Etappe 6

  1. Ben Healy, EF Education–EasyPost – 4:24:10

  2. Quinn Simmons, Lidl‑Trek – +2:44

  3. Michael Storer, Tudor Pro – +2:51

  4. Eddie Dunbar, Jayco AlUla – +3:21

  5. Simon Yates, Visma–Lease a Bike – +3:24

  6. Will Barta, Movistar – +3:29

  7. Harold Tejada, XDS Astana – +3:52

  8. Mathieu van der Poel, Alpecin‑Deceuninck – +3:58

  9. Tadej Pogačar, UAE Team Emirates–XRG – +5:27

  10. Jonas Vingegaard, Visma–Lease a Bike – +5:27