Veranstaltungen

Fünf Siege, eine Einstellung: Wie Hinault die Tour 1985 eroberte

Von Siegfried Mortkowitz

Mit jedem Jahr wird der inzwischen 70-jährige Bernard Hinault mehr zur Legende. Kein Wunder: Er war der letzte französische Radprofi, dem ein scheinbar unerreichbares Kunststück gelang – der Sieg bei der Tour de France. Fünfmal gewann Hinault die Frankreich-Rundfahrt, zuletzt 1985 – nach einem spannungsgeladenen Duell mit seinem Teamkollegen Greg LeMond.

Hinault wurde nicht umsonst „der Dachs“ genannt – wegen seines aggressiven, kompromisslosen Fahrstils. Wie ein Dachs, der aus seinem Bau stürmt, um anzugreifen, so kämpfte auch Hinault: hart, direkt, unnachgiebig. Er selbst brachte es auf den Punkt: „Solange ich atme, greife ich an.“ Diese Haltung war zweifellos ein wesentlicher Grund für seine fünf Gesamtsiege bei der Tour und insgesamt 156 Karriere-Erfolge in 13 Profijahren.

Der Tour-Spezialist

Als Franzose hatte für Hinault die Tour de France oberste Priorität. Neben seinen fünf Gesamtsiegen holte er auch 28 Etappensiege – mehr als jeder andere Franzose vor oder nach ihm. Für junge französische Fahrer ist er Inspiration und Mahnung zugleich: Er zeigt, was möglich ist – und was seitdem nicht mehr erreicht wurde.

Die Abstände seiner Siege sprechen für sich:
1978: +3:56 Minuten
1979: +13:07 (!)
1981: +14:34 (!)
1982: +6:21
1985: +1:42

Gerade der scheinbar knappste Vorsprung 1985 wirkt rückblickend noch beeindruckender: Hinault ging nach einer Knieoperation angeschlagen an den Start, klagte über Schmerzen – und stürzte auf der 14. Etappe kurz vor dem Ziel in St. Étienne. Diagnose: Nasenbruch. Und trotzdem holte er sich den Gesamtsieg.


Alle Farben der Tour: Bernard Hinault im Gelben Trikot, Gerrie Knetemann (2.v.l.), Gewinner der letzten Etappe, Politiker Maurice Couve de Murville (Mitte), Freddy Maertens im Grünen Trikot des besten Sprinters und Mariano Martinez im gepunkteten Trikot des besten Bergfahrers am 23. Juli 1978 auf dem Podium. © Profimedia


Das Hinault-LeMond-Dilemma

Vor dem Rennen deutete Hinault an, dass er sich – wegen seines Knies – eventuell in den Dienst seines neuen Teamkollegen Greg LeMond stellen würde, eines 24-jährigen US-Amerikaners. Betonung auf eventuell, denn auch wenn beide offiziell als Co-Kapitäne galten, wollte Hinault nach seinem Giro-Sieg unbedingt noch einmal die Tour gewinnen.

Diese Unklarheit über die Rollenverteilung führte zu Spannungen – ähnlich wie im Team UAE Emirates beim Giro d’Italia 2024, als unklar war, ob Juan Ayuso oder Isaac del Toro Kapitän war.

Doch nach dem Einzelzeitfahren der 8. Etappe über 75 km von Sarrebourg nach Straßburg war die Hierarchie geklärt: Hinault gewann, LeMond wurde Fünfter mit 2:34 Rückstand. Als Hinault auf Etappe 14 stürzte und sich die Nase brach, führte er die Gesamtwertung bereits mit 3:32 Minuten an – vor LeMond. Auf Platz drei lag Stephen Roche, über sechs Minuten zurück.

Aber sicher war der Sieg noch lange nicht: Auf der 17. Etappe – der letzten Bergetappe – baute Hinault deutlich ab und verlor 4:05 Minuten auf Pedro Delgado. Sein Vorsprung auf LeMond schrumpfte auf 2:25 Minuten – doch das genügte, um den Gesamtsieg zu retten.

Der letzte „harte Hund“ im Peloton?

Mit seinem fünften Tour-Sieg zog Hinault gleich mit Legenden wie Jacques Anquetil und Eddy Merckx. Und für LeMond war es der Auftakt zu einer großen Karriere: 1986 gewann er als erster Nicht-Europäer die Tour – und holte insgesamt drei Gesamtsiege.

Hinault gilt heute als der letzte echte Kämpfer im Peloton, ein Sportheld mit Charakter, Biss und Charisma. Gefragt, warum französische Fahrer heute keine Tour mehr gewinnen, sagte er:
„Weil sie zu weich sind.“
Und wie man die Tour gewinnt?
„Ganz einfach: Man muss angreifen!“