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Ultra-Cycling-Abenteuer – Die Psychologie des Durchhaltens

Von Jiri Kaloc

Wie wird man fit genug für ein 1.000-Kilometer-Rennen? Tatsächlich ist körperliche Fitness bei Ultra-Cycling-Events selten das größte Problem. Bei diesen verrückten Distanzen geht es viel mehr darum, mit Unbehagen, Selbstzweifeln, extremer Müdigkeit und dem Unerwarteten umzugehen. Es ist ein mentaler Kampf – und die Psychologie des „ewig Weiterfahrens“ ist ebenso faszinierend wie herausfordernd.


Der wahre Gegner: der eigene Kopf

Übermüdet, wundgesessen und irgendwo zwischen Halluzination und Erschöpfung – Ultra-Distanz-Fahrer:innen überschreiten regelmäßig die körperlichen Grenzen des Vorstellbaren. Bei Rennen über tausend Kilometer kämpfen sie nicht nur gegen Höhenmeter, Wind oder Hitze – sie kämpfen gegen den eigenen Geist. Diese innere Stimme, die ständig Gründe liefert, langsamer zu fahren oder ganz aufzuhören, kenne ich schon von normalen Tagesrennen. Wie man das über mehrere Tage aushält, ist für mich kaum vorstellbar.

Vielleicht muss man es einfach selbst erleben, um seinen Weg zu finden. Deshalb überlasse ich in diesem Artikel den erfahrenen Ultra-Fahrer:innen das Wort. Einige ihrer Strategien sind überraschend – und machen Lust, es selbst einmal zu versuchen.


Hochs und Tiefs gehen vorbei

„Es gibt viele Hochs und Tiefs – und die Tiefs sind hart. Aber ich weiß inzwischen, dass diese Momente nicht ewig dauern. Ich nehme an, dass es in der nächsten Stunde schwer wird – und dann vergeht es wieder. Ich horche in mich hinein: Gebe ich gerade alles? Dann ist das genug, und ich erinnere mich daran. Musik hören, ein Hörbuch, ein Snack – kleine Dinge, um die Stimmung zu heben. Ich vermeide Negativität, denn die bringt gar nichts. Wenn man die dunklen Stunden übersteht, kommt immer wieder ein Moment der Schönheit. Und ich bin dann einfach dankbar, das erleben zu dürfen.“
Lael Wilcox (@laelwilcox)


Wie ein Neugeborenes

„Die meisten Probleme lassen sich lösen, indem man einfach weiterfährt. Es ist ein bisschen wie mit einem Neugeborenen: Bin ich hungrig? Müde? Durstig? Muss ich aufs Klo? Ich habe schnell herausgefunden, dass es Tageszeiten gibt, in denen ich besser funktioniere. Nachts und morgens geht es mir gut. Am späten Nachmittag wird es zäh. Wenn ich das weiß, kann ich mich entweder schonen oder mich bewusst pushen – aber ich fahre weiter.“
Emily Chappell (@emilyofchappell), Outside Magazine


Der Trick mit dem Spiel

„Wenn du nachts ein blinkendes Licht siehst, schaltet dein Kopf sofort in den Jagdmodus. Etwas springt an – ‚Los geht’s!‘. Du musst dir selbst kleine Spiele ausdenken, um motiviert zu bleiben. Wenn man zu sehr in den Bikepacking-Modus fällt, wird man träge, macht mehr Pausen… und der Flow ist dahin.“
Sherry Cardona (@sherry.cycling)


Wenn die Sterne zum Dach werden

Halluzinationen sind bei Ultra-Rennen, die über zwei oder mehr Nächte gehen, keine Seltenheit. So beschreibt Lachlan Morton seine Erlebnisse beim Badlands, einem 720-Kilometer-Gravelrennen durch Südspanien:

„In der zweiten Nacht wird’s wirklich abgefahren. Ich dachte, da steht irgendwo ein Koffer mitten im Nichts. Ich hörte Musik, sah mich um, suchte nach der Stadt, aus der sie kam. Dann kam dieses Gefühl: Es war eine klare Nacht, ich konnte alle Sterne sehen – aber sie wirkten wie ein Dach direkt über mir. Die Zeit verging extrem langsam. Fünf Minuten fühlten sich an wie 45. Ich hatte das Gefühl, in einer Endlosschleife gefangen zu sein.“
Lachlan Morton (@lachlanmorton), The Sunday Times


Die Angst vorm Scheitern

„Wenn ich verletzt bin und alles schiefläuft – dann braucht mir keiner mit Muhammad-Ali-Zitaten kommen. Sag mir nicht, ich soll fröhlich oder positiv sein. Ich habe Angst. Die Angst vor dem Scheitern ist viel größer als jede Motivation durch Erfolg. Und das muss man auch so benennen dürfen. Ständig zu sagen ‚Lächeln, alles wird gut‘ hilft in Hochdrucksituationen niemandem.“
Mark Beaumont (@mrmarkbeaumont), Podcast: Crisis What Crisis


Stunde für Stunde

„Ich nehme es stundenweise. Ich genieße die Landschaft, achte auf meinen Körper, bin mit mir selbst beschäftigt – Essen, Wasser, Schlafplatz suchen. Wenn du ans große Ganze denkst, kommst du nie ins Ziel. Es wird schlechte Tage geben, an denen du leidest. Aber ich höre nicht auf. Deine Stimmung wechselt ständig – du erlebst das ganze Spektrum an Emotionen in einem einzigen Rennen.“
Steffen Streich (@steffen_streich), Outside Magazine


Fortsetzung folgt in der Serie „Ultra-Cycling-Abenteuer“…