In der Flut täglich wechselnder Nachrichten gehen manche Geschichten leicht unter – obwohl sie es absolut verdienen, erzählt zu werden. Eine davon ist die Reise des jungen Inders Saneed, der im vergangenen Jahr nicht nur über 5.000 Kilometer durch Indien radelte, sondern dabei auch den höchsten befahrbaren Pass der Welt erklomm – und das alles auf einem Fahrrad ohne Vorderreifen! Klingt verrückt? Dachte ich auch, also schrieb ich ihm auf Instagram. Und er antwortete tatsächlich!
Saneed P. P., mittlerweile 24 Jahre alt und aus Kannur in Kerala, hat sich in die Annalen des Radsports eingetragen: Er ist der erste Mensch, der Indien auf einem Fahrrad nur mit Hinterrad durchquert hat – eine Herausforderung, die jeder Mountainbiker*in kennt: der legendäre Wheelie. Dieses Kunststück ist ein sensibler Balanceakt zwischen Können, Kontrolle und dem ständigen Risiko, unsanft auf dem Rücken zu landen. Genau – kein Vorderreifen. Nur Balance, Mut und eine gehörige Portion Wahnsinn.
Für alle, die nicht vertraut sind: Ein Wheelie ist ein Test für Gleichgewicht und Nerven. Du ziehst die Lenkstange nach oben, verlagerst dein Gewicht so weit nach hinten, dass das Vorderrad in der Luft bleibt – aber nicht so weit, dass du wie ein umgestürzter Käfer landest. Manche beherrschen es in einem Tag, andere jagen ihm ein Leben lang hinterher.
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Von Kerala bis in die Wolken
Doch wer den Wheelie auf die nächste Stufe heben möchte, kann einen Schritt weitergehen – und den Vorderreifen ganz entfernen. Dann wird es ernst. Denn sobald du das Gleichgewicht verlierst und nach vorne kippst, gibt es kein sanftes Auffangen mehr: Gabel trifft Asphalt, und du fliegst über den Lenker. Genau so legte Saneed die Strecke von Kanyakumari, dem südlichsten Punkt Indiens, bis zum Umling La Pass in Ladakh zurück – mit 5.799 Metern Höhe der höchste befahrbare Pass der Welt.
Die Expedition erforderte über acht Monate Vorbereitung und vier Monate Durchführungszeit. Moralische und technische Unterstützung kamen von seinen Brüdern Savad und Sajad, die sogar Saneeds persönlichen Besitz auf ihre Rucksäcke aufteilten, um ihn zu entlasten.
„Jeden Morgen startete ich um sechs Uhr, legte rund 40 Kilometer zurück und kämpfte gegen Müdigkeit, Seitenwind sowie Schmerzen in Nacken und Rücken“, erzählt der junge Fahrer, der seinen Lebensunterhalt mit Stuntfahrten und motivierenden Radprojekten verdient und gleichzeitig soziale Projekte unterstützt, die Verkehrssicherheit und mentale Stärke bei Jugendlichen fördern.
An einem Punkt musste Saneed sogar ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, nachdem ihn eine Windböe zu Boden geworfen hatte. Medizinische Betreuung erhielt er auf einer Militärbasis in Hanle, einer weltweit bekannten Region für hohe Lagen und perfekte Bedingungen zum Sterneschauen. Aus einem unglücklichen Zwischenfall wurde ein glückliches Erlebnis: Saneed durfte Diwali, das hinduistische Lichterfest das den Sieg des Lichts über die Dunkelheit symbolisiert, gemeinsam mit den Soldaten feiern.
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Physikalische und mechanische Herausforderungen
Neben physischen Strapazen hatte Saneed auch mit technischen Problemen zu kämpfen. „Ohne Vorderreifen das Gleichgewicht zu halten, war extrem schwierig – manchmal lockerten sich Teile oder beschädigten sich auf unebenem Gelände. Aber ich hatte immer grundlegende Werkzeuge dabei und reparierte alles selbst, wann immer möglich. Jedes Problem brachte mir etwas Neues bei und machte mich stärker“, schrieb er.
Nächte unter freiem Himmel in eisiger Höhe
Die Herausforderung war nicht nur die Steigung – auch das Klima spielte eine Rolle. Während Saneed in die Himalaya-Region vordrang, sanken die Temperaturen drastisch, und Camping im Freien wurde zunehmend schwierig. Die kältesten Momente erlebte er am Zojila-Pass in Kashmir und in Drass, Ladakh – einer der kältesten dauerhaft bewohnten Orte der Erde. „Bis dahin schlief ich in meinem Zelt an Tankstellen oder Straßenrestaurants – überall dort, wo es eine Toilette gab. Doch als es richtig kalt wurde, luden mich Einheimische in ihre Häuser ein. Überall, wo ich hinkam, waren die Menschen freundlich und hilfsbereit“, erzählte Saneed.
Am meisten berührte ihn die Reaktion auf die indische Nationalflagge, die er während der gesamten Reise mitführte: „Viele kamen, um mir die Hand zu schütteln oder ein Foto zu machen – diese echte Unterstützung und Zuneigung motivierte mich mehr als alles andere.“
Zu seinen Höhepunkten zählen: Das Taj Mahal auf einem Rad zu sehen. Die Milchstraße über dem Himalaya zu beobachten. Und zu beweisen, dass manchmal die verrücktesten Fahrten die klarsten Botschaften vermitteln.
Was kommt als Nächstes?
Saneed gesteht, dass diese Reise sein Leben komplett verändert hat: „Persönlich lehrte sie mich Geduld, Selbstvertrauen und die Kraft der Ausdauer. Beruflich öffnete sie Türen – von Medienaufmerksamkeit bis zu Markenkooperationen – und bot mir eine Plattform, meine Geschichte zu teilen. Sie zeigte mir, dass man mit Leidenschaft und Zielstrebigkeit selbst unmögliche Wege zu wunderschönen Orten führt.“
Seine Fähigkeiten führten ihn sogar zu Stunt-Rollen in mehreren Mollywood-Filmen (Malayalam-Filmindustrie in Kerala). Doch Saneed liebt das Einradfahren noch immer: „Radfahren ist ein Teil von mir“, sagt er und kündigt sein nächstes großes Ziel an – eine Herausforderung von Kerala nach Nepal, selbstverständlich wieder ohne Vorderreifen. Auch dieses Abenteuer soll andere inspirieren, ihre Träume zu verfolgen – egal wie verrückt sie scheinen mögen.
Interessierte Sponsoren? Saneed ist über Instagram erreichbar.



