Du gehst nach draußen.
Und bereust sofort jede Entscheidung, die du je getroffen hast.
Denn der Wind im Oktober ist nicht einfach nur Wind. Er ist ein Rundum-Angriff. Er schiebt dich nicht – er schneidet. Plötzlich fährst du nicht mehr Rad, du nimmst an einem meteorologischen Initiationsritus teil. Hier erfährst du, wie du dich für einen Monat kleidest, in dem die Luft Meinungen hat – und keine davon nett ist.
Vertraue keiner Wettervorhersage
Die Wetter-App zeigt 13 °C. Klingt doch okay. Bis du merkst:
13 °C in der Sonne
6 °C im Schatten
1 °C, wenn du mit 58 km/h in einen Gegenwind hinunterrast, der sich wie Verrat anfühlt
Du lernst, Zahlen zu ignorieren und deine Entscheidungen nach Gefühl – und nach Erinnerungen an vergangenes Leid – zu treffen. Oktober ist ein Meister der Verstellung. Und du bist der Narr, der ihm geglaubt hat.
Starte kalt, bereue nichts
Konventionelle Weisheit sagt: „Du solltest leicht frösteln zu Beginn.“
Oktoberweisheit sagt: „Du wirst nie wieder warm.“
Du schichtest, ziehst an, ziehst aus, öffnest den Reißverschluss, Du ziehst die Handschuhe aus und schreist sofort auf – und alles von vorn.
Jede Ausfahrt beginnt mit Zittern und endet damit, dass du in einer winddichten Jacke schwitzt, die inzwischen nach gekochtem Verzweifeln riecht. Unterkleidung zu knapp? Dann wartet die persönliche Vendetta mit den Wettergöttern.
Also ziehst du lieber zu viel an – und ziehst unterwegs auf dem Anstieg wieder alles aus, als würdest du einen interpretativen Tanz mit deiner Base-Layer aufführen.
Winddicht ≠ warm
Du besitzt eine winddichte Jacke. Süß.
Der Oktoberwind schert sich nicht um deine Jacke. Er findet Nähte, Reißverschlüsse – und deine Seele. Egal, wie technisch das Material ist, der Wind sagt: „Guter Versuch.“
Du könntest einen Fallschirm aus Industriewatte tragen – Der Wind würde dich trotzdem treffen wie der Blick eines enttäuschten Elternteils.
Handschuhe sind Glücksspiel
Du vergisst einmal im Oktober die Handschuhe. Ein einziges Mal.
Danach hortest du sie. Leichte Handschuhe, Thermohandschuhe, Hummerhandschuhe, dieses seltsame Ein-Finger-Ninja-Ding. Du fängst an, Ersatzhandschuhe mitzuschleppen, als wärst du Dealer*in für Unvorbereitete.
Trotzdem verhindert nichts die existenzielle Panik kalter Finger, die bei 60 km/h die Bremshebeln umklammern. Ein kurzer Laut, gefangen im Dampf auf deiner Brille. Der Wind findet selbst diese Schwäche.
Das Halstuch wird zur Religion
Es ist nicht nur ein Accessoire – es ist ein Glaubensbekenntnis.
Du trägst es um den Hals, über die Ohren, bis zu den Augen, unter den Helm. Du würdest deinen ganzen Kopf darin einwickeln, wenn du könntest.
Es ist das Einzige, was dich vor einem emotionalen Absturz durch einen steifen Seitenwind und leichten Nieselregen schützt.
Umarm das „knusprige Apokalypse“-Look
Mitte Oktober sehen alle aus wie postapokalyptische Fahrradkuriere.
Nichts stimmt farblich überein. Dein Outfit ist „funktionale Panik“, deine Farben „was gerade trocken ist“. Du trägst kaputte Überschuhe, ein Trikot von 2016 und einen Buff, der eher ein Geschirrtuch sein könnte.
Aber niemand urteilt. Denn alle sehen gleich aus.
Hier geht es nicht um Style – es geht ums Überleben.
Irgendwann kehrst du heim
Du öffnest die Tür wie jemand, der gerade aus einem kleinen Krieg zurückkehrt.
Dein Haushalt blickt dich mit einer Mischung aus Mitleid und Verwirrung an.
Du ziehst Kleidung ab mit der Anmut einer ertrunkenen Giraffe.
Ein Handschuh landet im Waschbecken. Du hast keine Ahnung, wie.
Und während du mit drei Decken und einer emotionalen Krise Tee schlürfst, flüsterst du:
„Nächstes Mal nehme ich das Winterrad.“
Wirst du nicht. Aber niedlich, dass du denkst, du würdest.



