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Die Ferrand-Prévot-Wirkung: Wie ihre Glanzleistung den Radsport verändern wird

Von Siegfried Mortkowitz

Pauline Ferrand-Prévots dominanter Sieg bei der Tour de France Femmes avec Zwift (TdFFaZ) 2025 – und vor allem, wie sie gewonnen hat, mit einer Machtdemonstration am Col de la Madeleine und einem weiteren Alleingang am Tag darauf – wird spürbare Auswirkungen auf den Radsport haben.

Vor allem in Frankreich, denn die TdFFaZ war diesmal ein fast durch und durch französischer Erfolg: Vier der neun Etappen gingen an französische Fahrerinnen, drei Französinnen landeten in den Top 10 der Gesamtwertung. Frankreich hat seit 1989 auf einen Tour-de-France-Gesamtsieg gewartet – und wird nun hoffentlich die Früchte ernten. Wer am Wochenende die jubelnden Menschenmengen am Streckenrand gesehen hat, vor allem am Sonntag, als zehntausende Fans Plakate mit Ferrand-Prévots Namen schwenkten, versteht, was ihr Sieg für das Land bedeutet.

Endlich hat Frankreich wieder eine Radsportlerin, die das größte Sportereignis des Landes so dominiert wie Tadej Pogačar die Männertour. Man stelle sich all die jungen Mädchen vor, die Pauline dabei zugesehen haben, wie sie den Col de la Madeleine hochgeflogen ist – und dachten: „Das will ich auch machen.“

Französische Radsportfans hatten seit Bernard Hinault vor 40 Jahren keinen echten Idol mehr. Jetzt haben sie eins. Kinder und Jugendliche werden ihre Eltern um ein Fahrrad bitten, werden anfangen zu trainieren und Rennen zu fahren. Das wird sich positiv auf die Zahl der Amateur-Rennen für Nachwuchsfahrerinnen und -fahrer auswirken – an denen es derzeit mangelt.

Ironischerweise hat Ferrand-Prévots Aussehen teils für Schlagzeilen gesorgt: Sie sei „zu dünn“, das „sei nicht gesund“, sie sei „kein gutes Vorbild für junge Mädchen“. Dabei ist ihre körperliche Form das Ergebnis harter Arbeit und konsequenter Vorbereitung – mit einem Ziel: die Tour zu gewinnen.

„Es ist mein Job, die Beste zu sein“, sagte Ferrand-Prévot. „Wir wissen, dass das ein Ausdauersport ist – und zum Klettern braucht man Watt pro Kilo. Ich habe mich dafür entschieden und hart gearbeitet.“ Das sei kein Lifestyle gewesen, sondern ein kontrolliertes Programm, um das wichtigste Rennen der Welt zu gewinnen. „Ich will nicht so bleiben“, fügte sie hinzu. „Aber wir hatten mit dem Ernährungsberater der Mannschaft einen guten Plan, alles war unter Kontrolle. Ich habe nichts Extremes gemacht – und hatte nach neun Tagen Rennen noch Power.“

 

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Ferrand-Prévot war nicht die einzige Französin, die für Begeisterung sorgte: Die 23-jährige Maëva Squiban gewann zwei Etappen mit beeindruckenden Solo-Ausreißversuchen. Ihre Fahrweise und die Souveränität, mit der sie das Feld zweimal dominierte, dürfte viele Mädchen inspiriert haben. Dazu kamen starke GC-Ergebnisse von Juliette Labous, Cédrine Kerbaol und Évita Muzic. Und: Vollering (Platz zwei), Kerbaol und Muzic fahren alle für das französische Team FDJ–Suez.

Superstars ziehen neue Fans an – und Fans ziehen neue Sponsoren an. Das hat Pogačar im Männerradsport gezeigt – und Ferrand-Prévot wird das auch im Frauenradsport tun. Das ist besonders wichtig, da einige französische Teams derzeit unter Druck stehen: Talente wie Lenny Martinez (20) wechseln ins Ausland, das Team Arkéa–B&B Hotels droht ohne Hauptsponsor zu verschwinden, und der talentierte Kévin Vauquelin (24) dürfte bald von einem ausländischen Top-Team verpflichtet werden.

Dank Ferrand-Prévot und der anderen starken Französinnen steht der französische Radsport nun wieder im Rampenlicht. Deshalb glauben viele: Innerhalb des nächsten Jahrzehnts wird auch ein Franzose wieder die Tour gewinnen.

Aber nicht nur Frankreich war begeistert – wer das Rennen am Bildschirm verfolgte, konnte sich der Faszination kaum entziehen. Millionen sahen live zu, noch mehr werden sich Wiederholungen anschauen. (Ich persönlich habe Paulines Fahrt auf den Madeleine bereits dreimal angeschaut – Gänsehaut jedes Mal.) Sie – mit Unterstützung ihrer Mannschaft – hat dem Frauenradsport einen gewaltigen Schub gegeben. Es wird mehr Geld, mehr Fahrerinnen, mehr Aufmerksamkeit geben. Und wahrscheinlich auch mehr Frauen, die das Risiko eingehen, als „schlechtes Vorbild“ bezeichnet zu werden – um zu gewinnen.

Ich gehe davon aus, dass wir im nächsten Jahr eine spürbare Leistungssteigerung bei den Grand Tours der Frauen sehen werden – noch größer als 2025. Auch wenn einige Favoritinnen dieses Jahr wegen Krankheit oder Verletzungen aussteigen mussten, war die TdFFaZ für mich das beste Rennen des Jahres – und das beste Frauenrennen überhaupt.

Ob Ferrand-Prévot nächstes Jahr zurückkehrt? Sie ließ es offen: „Die Vorbereitung auf die Tour war so hart – im Moment kann ich mir nicht vorstellen, das nochmal zu machen“, sagte sie nach der letzten Etappe. „Vielleicht liegt’s daran, dass ich gerade einfach müde bin und eine Pause brauche. Aber es hat sich gelohnt, auch wenn’s extrem anstrengend war. Mehrmals im Jahr könnte ich das nicht machen. Es ist so viel Verzicht. Aber ich habe noch zwei Jahre Vertrag – und ich liebe, was ich tue. Es ist mein Leben.“

Ferrand-Prévot beeindruckte nicht nur sportlich, sondern auch mit ihrer reflektierten, offenen Art. Was sie sagte, war ehrlich und klug – kein austauschbares PR-Gefasel, wie man es oft von männlichen Profis kennt. Und: Kein Mann wird für sein Aussehen oder seine Trainingsmethoden kritisiert. Hoffen wir, dass ihre ruhige, sachliche Antwort auf die Kritik manche Stimmen zum Schweigen bringt, die erfolgreiche Frauen gern auf Äußerlichkeiten reduzieren.

Sie ist das perfekte Vorbild für die nächste Generation – egal, ob weiblich oder männlich.

Also los, Pauline. Mach’s nächstes Jahr nochmal. Der Radsport braucht dich.