Seien wir ehrlich: Jede/r Radfahrer*in – ja, auch du, ich und Dave aus der Buchhaltung mit seinem klapprigen Trekkingrad – denkt heimlich, er/sie könnte die Tour de France gewinnen.
„Wenn ich nur Zeit zum Trainieren hätte …“
Das ist das universelle Mantra. Wenn wir keine Vollzeitjobs, Kinder, Hunde, Hypotheken, knackende Knie oder ein unstillbares Netflix-Bedürfnis hätten – wären wir ganz klar auf Augenhöhe mit Pogačar.
Ich trainiere zum Beispiel hart – zwei Zwift-Sessions pro Woche, eine Sonntagsrunde mit Kaffeestopp und Krafttraining (aka Einkaufstüten in den dritten Stock schleppen). Das reicht doch locker für die Alpenetappen, oder?
Und nicht zu vergessen: „Mir fehlt einfach die Zeit zur richtigen Regeneration – sonst wär ich längst vorne.“ Klar, Dave. Schlaf ist das Einzige, was dich vom Gelben Trikot trennt.
Der lokale Segment-König
Jeder von uns hat dieses eine Segment, das man mit Stolz zerstört hat. Vielleicht nur 200 Meter lang, mit Rückenwind und bergab – aber es ist DEIN Moment.
Letzte Woche hab ich ein flaches Segment beim Lidl mit 45 km/h ge-KOM’t – im Windschatten eines Müllwagens. Unaufhaltbar. Tourmalet? Pff. Gleiche Idee, nur… länger.
Und sind wir ehrlich: Jede Ausfahrt endet mit einem Zielsprint auf eine imaginäre Linie, begleitet von einem lauten: „UND ER GEWINNT DIE ETAPPE AUF DEN CHAMPS-ÉLYSÉES!“ Haben wir alle schon gemacht. Manche sogar zwei Mal pro Fahrt.
Wer jede Etappe schaut, ist quasi ein Profi
Wir sitzen auf dem Sofa, in Bib-Shorts, essen Spaghetti direkt aus dem Topf und hören den Eurosport-Kommentatoren beim Watt-pro-Kilo-Geplänkel zu – und denken: „Ja, das krieg ich auch hin.“ Taktik ist schließlich die halbe Miete. Der Rest – Fitness – sind nur Details.
Und wir wissen genau, wann man attackieren muss. Am besten direkt nach dem Bäckerstopp, wenn alle noch Croissants verdauen. Pures Kalkül.
Das Rad kostet mehr als das Auto
Ist wissenschaftlich belegt: Je leichter der Geldbeutel, desto schneller das Rad. Mit Carbonrahmen, Di2 und Aero-Laufrädern fahren wir quasi Pro-Level-Material. Gut, der Motor (Beine) klingt manchmal wie eine rostige Kaffeemühle, aber auf Fotos sehen wir verdammt tourtauglich aus.
Und dieser mentale Schub durch 200 €-Rennradschuhe und einen passenden Helm – das sind eben die „marginal gains“.
Leiden? Können wir! (Kurzzeitig)
Die Tour ist ein Fest des Leidens – und da sind wir Experten. Letzten Sonntag hab ich 300 Watt für ganze 10 Minuten gehalten, bevor ich Sterne sah und mich fast in die Hecke übergeben habe. Mal 40 – und ich bin praktisch Demi Vollering. So funktioniert Mathe, oder?
Schmerz ist nur Schwäche, die den Körper verlässt. Oder bei mir: die Pizza von gestern Abend.
Träume kosten nichts
Am Ende sind wir alle gleich: Lycra-Träumer, die glauben, mit ein bisschen mehr Training, ein paar Gels und der richtigen Sitzposition könnten wir ganz oben auf dem Podium stehen, Champagner spritzen und den Fans zuwinken.
Bis UAE Team Emirates anruft, trage ich weiter gelbe Socken für die Moral, jage Strava-Segmente hinter Linienbussen her und sage jedem, der zuhört:
„Ganz ehrlich, wenn ich voll draufhalte, lass ich Pogačar stehen. Locker.“



