Veranstaltungen

Kann Demi Vollering ihr Mojo zurückgewinnen und zum zweiten Mal die Tour de France Femmes avec Zwift gewinnen?

Von Siegfried Mortkowitz

Es ist schwer vorstellbar, dass – abgesehen von Verletzungen oder Krankheit – irgendjemand Demi Vollering in der diesjährigen Tour de France Femmes avec Zwift (TdFF) schlagen kann. Sie ist die erfolgreichste Fahrerin in der dreijährigen Geschichte des Rennens: Siegerin 2023, Zweite 2022 und auch im letzten Jahr, als sie nur knapp von Katarzyna Niewiadoma-Phinney (Canyon//SRAM-zondacrypto) um vier Sekunden geschlagen wurde.


Die große Favoritin

Vollering fährt eine überragende Saison: Siege bei der Volta Femenina de la Comunitat Valenciana, den Strade Bianche Donne, der Vuelta España Femenina, der Itzulia Women, der Volta Ciclista a Catalunya Femenina – und ein zweiter Platz hinter Marlen Reusser (Movistar) bei der Tour de Suisse Women. Das ist Dominanz à la Pogačar. Ihr erstes Jahr bei FDJ–Suez ist bislang ein voller Erfolg.

Kaum überraschend, denn sie hat nun Fahrerinnen wie Juliette Labous und Évita Muzic an ihrer Seite – beide könnten selbst Teamleaderinnen sein. Labous wurde 2022 Vierte und 2023 Fünfte bei der TdFF, Muzic belegte im Vorjahr Rang vier. Mit der erfahrenen Kletterin Elise Chabbey im Team steht der 28-jährigen Niederländerin, der besten Kletterin der Welt, ein starkes Fundament zur Verfügung.

Vollering ist die klare Favoritin, um die Enttäuschung des letzten Jahres vergessen zu machen – als ein Sturz auf Etappe 5 und fehlende Unterstützung ihres damaligen SD Worx–Protime-Teams ihr die Chancen auf den Sieg raubten. Dass sie trotzdem nur knapp unterlag, spricht für ihre Zähigkeit und Kletterqualitäten.

Diese wird sie auch brauchen, denn die diesjährige Ausgabe ist extrem anspruchsvoll: mit vielen harten bis brutalen Anstiegen – darunter der Kategorie-1-Col du Béal (10,2 km mit 5,6 %) auf Etappe 6, das Ziel auf dem legendären Col de la Madeleine (18,6 km mit 8,1 %) auf Etappe 8 sowie der HC-Col de Joux Plane (11,6 km mit 8,5 %) auf der Schlussetappe.

Neben der sportlichen Unterstützung motiviert sie auch der Teamgeist. Auf dem neuen FDJ–Suez-Trikot steht ein Herz mit der Inschrift:
„Alles Licht entsteht aus Schatten. Jeder Erfolg basiert auf akzeptierten Rückschlägen und harter Arbeit.“

„Die Werte des Teams haben großen Einfluss auf unser tägliches Leben als Athletinnen – in den härtesten wie in den schönsten Momenten“, sagt Vollering. „Sie erinnern uns daran, warum wir diesen Weg gewählt haben. Das Trikot verkörpert unsere Geisteshaltung: Die Arbeit hinter den Kulissen trägt zu unserem Erfolg und unserer Ausstrahlung bei.“


 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von FDJ – SUEZ (@fdj_suez)

Die Konkurrenz

Doch schöne Worte allein werden nicht reichen. Denn Vollering trifft auf starke Gegnerinnen – allen voran Marlen Reusser, ihre frühere Teamkollegin, die nach ihrem Wechsel zu Movistar in der Form ihres Lebens fährt.

Reusser wurde Zweite hinter Vollering in Valencia und der Vuelta, gewann die Vuelta a Burgos mit über einer Minute Vorsprung auf Elisa Longo Borghini (UAE Team ADQ), holte sich den Gesamtsieg bei der Tour de Suisse und den nationalen Zeitfahrtitel – und belegte beim Giro d’Italia Women Rang zwei hinter Longo Borghini. Das ist ein enormes Pensum – vor allem, weil der Giro erst vor zwei Wochen endete. Und Reusser ist 33. Sollte sie die TdFF gewinnen, wäre das eine außergewöhnliche Leistung.

Gleiches gilt für Longo Borghini, ebenfalls 33 Jahre alt, aber mit etwas besser geplanter Belastung. Sie wurde 2022 Sechste bei der TdFF, stieg 2023 aus und fuhr 2024 nicht mit. Ein Podiumsplatz in diesem Jahr wäre ein starkes Comeback.

Die Titelverteidigerin Niewiadoma konnte bislang nicht an ihre Leistungen aus dem Vorjahr anknüpfen. Einziger Sieg in 2024: der polnische Straßenmeistertitel vor einem Monat. In der Tour de Suisse wurde sie Dritte – fast zwei Minuten hinter Reusser –, in der Vuelta lag sie fast sechs Minuten hinter Vollering. Ohne ähnlich glückliche Umstände wie 2023 dürfte eine Titelverteidigung schwer werden.

Am spannendsten ist vielleicht die Frage, was Weltmeisterin Lotte Kopecky leisten kann. Sie hat die TdFF 2024 gezielt ins Visier genommen, musste aber wegen Rückenproblemen den Giro nach Etappe 5 aufgeben. In dieser Saison gewann sie nur zwei Rennen – die Flandern-Rundfahrt und das belgische Zeitfahr-Meisterschaft. Dafür ist sie die ausgeruhteste Fahrerin unter den Top-Favoritinnen.

Allerdings: Klettern gehört nicht zu ihren Stärken. Bei ihrer bislang besten TdFF-Platzierung 2023 wurde sie Zweite – über drei Minuten hinter Vollering. Beim entscheidenden Anstieg zum Tourmalet verlor sie 3:32 auf ihre damalige Teamkollegin. In diesem Jahr könnte sie näher herankommen – aber für den Sieg wird es wohl nicht reichen.

Natürlich kann es auch zu Überraschungen kommen – das ist im modernen Radsport längst keine Seltenheit mehr. Doch es ist schwer vorstellbar, dass eine andere Fahrerin an diese fünf Favoritinnen herankommt.

Fest steht: Diese bislang längste und schwierigste Ausgabe der Tour de France Femmes verspricht dramatische Duelle und großartigen Radsport.