Wie erwartet, ist auch diese Tour de France wieder eine große Bühne für den dreifachen (bald vierfachen?) Toursieger Tadej Pogačar. Doch aus Fansicht liegt der eigentlich spannendere – und vielleicht langfristig wichtigere – Fokus dieser Tour auf dem Aufstieg von vier jungen Fahrern, die das Rennen in den kommenden Jahren prägen könnten.
Drei dieser Talente liegen aktuell in den Top 5 der Gesamtwertung, der vierte trägt das gepunktete Trikot des besten Bergfahrers. Es stehen noch drei große Bergetappen aus, die das Klassement noch verändern könnten – besonders im Kampf um das Bergtrikot. Aber angesichts ihrer bisherigen Leistungen dürfte diese neue Generation den Radsportfans noch mindestens sechs weitere Jahre voller packender Tour-de-France-Action bescheren.
Aus Rogličs Schatten
Der beeindruckendste dieser vier ist zugleich der älteste: Florian Lipowitz (24). Zwei Jahre lang arbeitete er im Dienst seines Teamkapitäns Primož Roglič bei Red Bull–BORA–hansgrohe, der 2024 mit dem Ziel ins Team kam, endlich die Tour zu gewinnen.
Aufgefallen ist Lipowitz erstmals bei der Tour de Romandie 2023, als er auf der Schlussetappe mit Bergankunft in Leysin (13,8 km à 6 %) nicht nur Vlasov überflügelte, sondern auch Größen wie Enric Mas, Egan Bernal und Juan Ayuso hinter sich ließ. Er wurde Etappenzweiter – zeitgleich mit Richard Carapaz – und schloss die Rundfahrt als Dritter der Gesamtwertung ab, nur 9 Sekunden hinter dem Sieger Carlos Rodríguez.
2024 verlief durchwachsen: Aufgabe beim Giro wegen Krankheit, dafür Platz 7 bei der Vuelta, wo er Roglič half, seinen vierten Titel zu holen. Doch dieses Jahr gelang der Durchbruch: Zweiter bei Paris–Nizza, Dritter beim Critérium du Dauphiné hinter Pogačar und Vingegaard, aber vor Evenepoel und Jorgenson.
Bei seiner Tour-Premiere liegt er nun kurz vor dem Podium – mit besten Chancen aufs Weiße Trikot. Besonders eindrucksvoll: Platz 3 auf der Etappe nach Hautacam, wo er Rogličs Schatten endgültig hinter sich ließ. „Lipo hatte heute die Beine“, sagte Roglič danach stolz – wie ein Champion, der den Staffelstab übergibt.
Lipowitz überzeugte in den Zeitfahren (Platz 6 und 4) und fuhr in den Pyrenäen konstant unter die Top 5. Er wirkt oft kämpfend am Berg, doch das ist Teil seiner Strategie: konstantes Tempo, starker Grundspeed. Ob 1,81 m und 68 kg für einen Toursieg reichen, ist offen – aber nach dieser Entwicklung ist ihm alles zuzutrauen.
Bardets junger Erbe
Oscar Onley (22) ist das nächste große britische GC-Talent. Sein Mentor Romain Bardet trat nach dem Critérium du Dauphiné zurück – auch, weil sein Nachfolger bereitstand. Und wie!
2024 fuhr Onley auf Platz 4 beim Tour Down Under, 5. beim UAE Tour und 3. bei der Tour de Suisse. Nun liegt er in der Gesamtwertung der Tour auf Rang 4, nur 1:25 hinter Lipowitz. Schon bei seiner ersten Tour im Vorjahr deutete er mit Rang 5 auf der Bergetappe 17 sein Potenzial an.
In diesem Jahr wurde er Etappenvierter (Stage 4), Dritter (Stage 7) und mehrfach Top 7 in den Pyrenäen. Immer hinter Lipowitz – aber immer konstant. Onley ist ein Allrounder mit Rennintelligenz und Reife weit über seinem Alter. Sollte Pogačar und Vingegaard eines Tages fehlen, ist Onley ein heißer Toursieg-Kandidat.
Frankreichs neue Kämpfernatur
Kévin Vauquelin (24) fährt nicht nur um gute Ergebnisse, sondern ums Überleben seines Teams Arkéa–B&B Hotels, das seine Sponsoren verliert. Seit seinem Etappensieg auf der Tour 2023 bei einem Solo über 16 km hat er sich zum Publikumsliebling entwickelt.
Dieses Jahr gewann er zwei kleinere Rundfahrten und wurde starker Zweiter bei La Flèche Wallonne (hinter Pogačar, vor Pidcock) sowie Zweiter bei der Tour de Suisse. Aktuell liegt er auf Platz 5 der Tour-Gesamtwertung.
Zwar wird er wohl keine Top-Platzierung halten können – Vauquelin ist eher Klassiker- als Kletterspezialist –, aber seine nie aufgebende Fahrweise begeistert Frankreich. Dass er 2025 bei einem ausländischen Topteam unterkommen wird, ist fast sicher. Und egal, wo er fährt: Er wird die kommenden Tour-Jahre prägen.
Die neue französische Hoffnung
Lenny Martinez (22) wechselte von Groupama–FDJ zu Bahrain–Victorious – ein Schritt, der in Frankreich kritisch gesehen wurde, sich aber auszahlt. Unter der Leitung von Startrainer Rod Ellingworth (Ex-Team Sky) blüht das Klettertalent auf.
Martinez hat bewusst keine Ambitionen auf die Gesamtwertung: Nach einem ruhigen Tour-Start liegt er über eine Stunde zurück und darf auf Punktejagd fürs gepunktete Trikot gehen. Aktuell führt er diese Wertung mit 8 Punkten Vorsprung vor Pogačar an.
Sein Ziel: Das Bergtrikot nach Paris bringen. Dafür setzt er auf Ausreißversuche bei den mittleren Anstiegen, da die großen Bergpunkte meist unter den GC-Fahrern ausgemacht werden.
Mit 1,68 m und 52 kg bringt Martinez das perfekte Kletterprofil mit. Seine Siege gegen João Almeida (Tour de Romandie) zeigen: Er hat nicht nur die Beine, sondern auch den Kopf. Vielleicht wird er der Fahrer, auf den Frankreich seit 1985 wartet.



