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Durch die Augen eines Reporters: Matt Stephens über die Fans der Tour de France

Von Matt Stephens

Ich hatte das Privileg, zehn Austragungen der Tour de France aus nächster Nähe miterleben zu dürfen. Mal kommentiere ich, mal arbeite ich im Hintergrund, mal führe ich Interviews mit den Fahrern – und letztes Jahr saß ich zum ersten Mal auf dem Rücksitz eines Motorrads, bewaffnet nur mit Mikrofon, Funkohrhörer und einer Portion ehrfürchtigem Schrecken, die mich vom Asphalt trennte.

Doch eines bleibt immer gleich, Jahr für Jahr – von der Normandie bis Nizza, vom Alpe d’Huez bis zu den Champs-Élysées: die Fans. Diese herrlich verrückten, wundervollen Fans, zu denen ich 1986 mit 16 Jahren selbst gehörte. Fan zu sein war mein Einstieg in die Welt des Radsports.

Damals hätte ich nie gedacht, dass ich drei Jahrzehnte später selbst Bilder, Geräusche, Stimmungen und Emotionen der Grand Boucle an andere Fans weitergeben würde.

Machen wir es kurz: Es gibt keine Fangemeinde im Sport wie die der Tour de France. Sie kaufen keine Tickets. Sie strömen nicht in ein Stadion. Sie übernehmen ganze Berge, Dörfer und Städte. Sie stehen um drei Uhr morgens auf, um sich einen Platz am Straßenrand zu sichern – oft nach tagelanger Anreise. Sie kochen Kaffee auf Campingkochern, essen Baguette und Käse, trinken lokalen Wein, tragen absurde Kostüme. Sie gründen Fanclubs für Fahrer, basteln selbstgemachte Flaggen, Plakate und Kunstwerke, die das Rennen lebendig machen.

Ich habe einen Mann im Bananenkostüm gesehen, der neben einer Ausreißergruppe am Col du Tourmalet mitlief und – hoffentlich – Anfeuerungen brüllte. Eine 85-jährige Frau in den Pyrenäen, die mit einem Kochtopf wie mit einer Kriegstrommel den Takt schlug, während das Peloton vorbeizog. Fans, die auf Fahrrädern an einem Kran hingen – direkt über dem Feld. Oder ein Dutzend Männer, verkleidet als Babys, die neben Mark Cavendish herliefen, als er in den Alpen ums Zeitlimit kämpfte. Einfach irre.

Ich habe mehr Würstchen, Bier und unbeholfene Rückenmassagen angeboten bekommen, als ich zählen kann. Am Alpe d’Huez musste ich die Autofenster schließen, weil Fans versuchten, einfach mit einzusteigen. Ehrlich – einen „typischen“ Fan bei der Tour gibt es nicht. Und genau das macht den Zauber aus. Sie kommen aus allen Lebenslagen – französische Omas mit Trikolore-Fahnen, niederländische Wohnwagen mit Techno-Beschallung wie auf einem Rave, dänische Wikinger mit Hörnerhelmen… Ich bin mir ziemlich sicher, ich habe mal ein Tandem gesehen, das wie ein Wikingerboot aussah!

Ruhig sind sie nie. Warum auch? Für viele ist der Besuch der Tour eine Pilgerreise – einmal im Leben. Es ist Sporttheater, Hochspannung und eine Prise Wahnsinn, alles in einem verschwitzten, lycra-verpackten Spektakel. Ihre Leidenschaft ist spürbar, überwältigend – manchmal so sehr, dass sie mich zu Tränen rührt.

 

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Was mich aber Jahr für Jahr am meisten berührt, ist nicht der Klamauk – es ist das Herz. Die Seele. Die echte, rohe Emotion. Ich habe Kinder auf den Schultern ihrer Väter gesehen, mit leuchtenden Augen, während das Peloton vorbeirauscht, winkend mit Kappen und Werbegeschenken aus der Tour-Karawane. Ich habe mit Fans gesprochen, die Tausende Kilometer angereist sind, auf staubigen Rastplätzen übernachten, nur um ihre Helden für ein paar Sekunden zu sehen – und sie bereuen keine Sekunde davon.

Sie werden Teil des Rennens. Ihre Energie treibt die Fahrer förmlich die Berge hoch – vor allem auf diesen brutalen Anstiegen in den Alpen oder Pyrenäen, wo die Straße schmal wird und der Lärm zu einer eigenen, lebendigen Macht anschwillt. Es ist ohrenbetäubend, elektrisierend – und manchmal beängstigend. Ich war auf dem Motorrad, direkt hinter den Führenden, als sie sich einen Berg hochquälten – und man sieht es: Die Fans tragen sie. Manchmal fast buchstäblich. (Bitte: Fasst die Fahrer nicht an. Sie hassen das.)

Und sie wissen, wovon sie reden. Das hier sind keine Gelegenheitszuschauer. Ich habe am Streckenrand mit Fans gesprochen, die mehr über Visma – Lease a Bike wussten als die halbe Presse. Sie leben das Rennen, verstehen die Taktik – und sie lieben es.

Es gibt auch ruhige Momente, die mir geblieben sind. 1986 habe ich meine erste Trinkflasche aufgehoben, die mir vor die Füße geworfen wurde. Mein Vater hat sie heute noch. Ich kann jeden Moment davon in meinem Kopf abspielen – ich erinnere mich, wie es sich als Kind angefühlt hat. Es hat mich inspiriert. Ich erinnere mich an ein belgisches Paar, das seit zehn Jahren jeden Tag der Tour im Wohnmobil verfolgt – im Juli ihr Zuhause. „Solange es geht, machen wir weiter“, sagten sie.

Oder das kleine Mädchen am Ziel einer Etappe der Tour de France Femmes avec Zwift in Rodez: Sie wartete geduldig, bis eine Fahrerin auf dem Heimtrainer ausfuhr – dann bekam sie eine Kappe und eine Trinkflasche geschenkt. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war unbezahlbar. Reine Inspiration. Das ist die Tour: Jeder ist ein Teil davon. Die Fans stehen im Zentrum.

Manchmal wird es auch zu viel. Die Straße zu eng, das Bier zu stark, die Menge zu nah. Ich habe Unfälle gesehen, Momente, in denen das Fest die Rennrealität vergisst. Aber selbst dann: Die Liebe bleibt. Diese wilde, chaotische, unperfekte Leidenschaft für den Radsport, die aus jedem Dorfplatz und Bergpass strömt – die kann man nicht vortäuschen. Sie ist echt. Roh. Und sehr, sehr französisch (mit einem gesunden Schuss Niederlande, Baskenland, Briten, Dänen, Italiener… die Liste ist lang).

Als jemand, der diese Tour aus allen Blickwinkeln erlebt hat – vom jungen Fan am Flussufer bis zum Kommentator, Moto-Reporter, Experten und Moderator – kann ich ohne Zögern sagen: Die Fans sind das Lebenselixier der Tour. Ohne sie wären es nur ein paar Fahrräder auf einer Straße. Mit ihnen ist es eine dreiwöchige Liebeserklärung – voller Chaos, Farbe und purer Freude. Ein Fest, das Menschen aus aller Welt verbindet. Ich würde sogar sagen: Sie sind nicht nur wichtig. Sie sind unverzichtbar.

Meine Aufgabe bei der Tour? Emotionen transportieren, Geschichten erzählen, die Komplexität der Renntaktik erklären, den Geist, die Geschichte und Kultur der Orte vermitteln, durch die das Rennen führt. Die Persönlichkeiten greifbar machen, die die Tour ausmachen. Und: unterhalten, begeistern, inspirieren – vielleicht auch ein wenig aufklären. Ich liebe meine Rolle und versuche ständig, besser zu werden. Aber was wäre all das ohne die Fans?

Also: Ein Hoch auf die Legenden am Straßenrand! Ihr macht die Tour de France zu mehr als einem Radrennen. Ihr macht sie zu einem Fest des Sports – herrlich, verrückt und zutiefst menschlich. Und falls ihr das größte Spektakel des Weltsports noch nie live erlebt habt: Ihr verpasst etwas. Kommt dazu. Ihr werdet es nicht bereuen.

Wir sehen uns an der Strecke! Sagt Hallo!